Hast du schon mal an eine Zitrone gedacht und auf einmal hat sich dein Mund zusammengezogen? Oder hast du im Fernsehen schon mal einen Boxkampf verfolgt und dann aus irgendeinem Grund auf einmal deine Hände in die Deckung gehoben?
Oder denkt nur an die unzähligen Dauerwerbesendungen aus den 90ern, die uns durch die bloße Nutzung eines Entsafters oder einer Schnitthilfe ein völlig neues und gesünderes Leben versprechen und wir instinktiv den Wunsch verspüren, unser Leben umzukrempeln.
Das sind nun einige sehr unterschiedliche Beispiele, aber sie alle habe eines gemeinsam: Wir sehen etwas (real oder vor unserem geistigen Auge) und daraus resultiert eine Handlung. Warum das so ist, erklärt der sog. Carpenter-Effekt.
Der Carpenter-Effekt: Definition
Der Carpenter-Effekt, auch bekannt als ideomotorischer Effekt, beschreibt das Phänomen, dass das Sehen oder das bloße Denken an eine bestimmte Bewegung die Tendenz zur Ausführung dieser Bewegung auslöst. Vereinfacht gesagt: Menschen machen mit großer Wahrscheinlichkeit das nach, was sie sehen oder sich vorstellen.
Dieser Effekt wurde erstmals 1852 von dem englischen Naturwissenschaftler William Benjamin Carpenter beschrieben und später durch neuere Untersuchungen mit elektrophysiologischen Methoden bestätigt.
Mit seiner Forschung zu diesem Phänomen wollte Carpenter in erster Linie die Wahrheit hinter gewissen „okkulten“ Praktiken, wie beispielsweise Gläserrücken oder Pendeln, ans Licht bringen. Oder wie sonst ließe es sich erklären, dass das Glas beim Gläserrücken auf dem Anfangsbuchstaben des Namens der Person landet, mit welcher man Kontakt aufnehmen wollte?
Als Teil des ideomotorischen Prinzips, das auch als Ideo-Realgesetz bekannt ist, besagt der Carpenter-Effekt, dass Bewegungen, die nicht bewusst ausgeführt werden, strukturell den wahrgenommenen oder vorgestellten Bewegungen entsprechen.
Ideomotorisch bedeutet, dass Bewegungen unwillkürlich zustande kommen und vor allem von Gefühlen und Vorstellungen ausgelöst und gesteuert werden. Das Ideo-Realgesetz (eine Erweiterung von Carpenter), entwickelt von Willy Hellpach, beschreibt darüber hinaus, dass Menschen auch von Gefühlen und Vorstellungen regelrecht angesteckt werden können, wenn sie ihnen vorgezeigt werden.
Die Basis für diese Effekte liegt in der Kindheit, wo wir unbewusst andere nachahmen, um zu lernen und uns weiterzuentwickeln. In den 90er Jahren wurden diese Effekte durch die Entdeckung der Spiegelneuronen weiter untermauert, die eine wichtige Rolle bei der Imitation von Bewegungen und Verhalten spielen.
Der Carpenter-Effekt im Marketing
Und wir wären nicht hier in der Marketingcorner, wenn der Carpenter-Effekt nicht auch Anwendung im Marketing finden würde. Ein paar Anwendungsbereiche sind vermutlich recht offensichtlich, aber lasst uns nochmal kurz festhalten: Wir neigen dazu, eine Handlung
auszuführen, die wir gesehen haben oder uns vorstellen und lassen uns sogar von den Emotionen anderer „anstecken“, die unser Handeln beeinflussen. Im Marketing bedeutet das: Wenn wir Kund:innen eine Handlung vormachen oder eine Emotionen vorgeben, die z.B. das Produkt bei ihnen auslösen soll, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass diese adaptiert wird. Ich möchte euch hierzu nachfolgend einige Beispiele geben.
Wichtig in diesem Zusammenhang: Der Carpenter-Effekt wirkt im Marketing in erster Linie durch Suggestion, nicht durch plumpe Kaufaufrufe.
Und noch wichtiger: Nein, wir sprechen hier nach wie vor nicht von Manipulation. Ob du etwas kaufst, entscheidest du nach wie vor mit deinem freien Willen 😉
Der Carpenter-Effekt und die (Website) User Journey
Zeigen wir Kund:innen Schritt für Schritt wo die Reise hingeht. Ein ganz einfaches Beispiel hierfür: Der CTA-Button, der ganz eindeutig auf eine auszuführende Handlung hinweist. Oder aber auch eine Prozess-Visualisierung. „Schritt 1 Du schickst das Formular ab. Schritt 2 Wir melden uns bei dir. Schritt 3 Du erhältst deine kostenlose Beratung“.
Visualität ist auf Webseiten natürlich von entscheidender Bedeutung. Bleiben wir beim CTA Button. Allein das Vorhandensein eines Hover-Effekts (der CTA Button ändert die Farbe beim Drüberfahren mit der Maus) suggeriert, dass hier etwas passiert, wenn ich draufklicke.
Oder schlicht eine glücklich aussehende Person auf der Website, die mir zeigt, wie ich mich fühlen werde, wenn ich das Produkt habe.
Auch die Sprache spielt eine große Rolle. „Jetzt schnell und unkompliziert zahlen“, „Aromatischer Kaffee aus den sonnenverwöhnten Regionen Brasiliens“
Der Carpenter-Effekt und Anwendungsvideos
Wenn wir Konsument:innen in Ads und Produktvideos zeigen, wie das Produkt angewendet wird, spiegeln wir unseren Kund:innen buchstäblich das Verhalten und natürlich auch die damit verbundene Emotion. Und natürlich minimieren wir hierdurch auch das subjektiv erlebte Kaufrisiko von Konsument:innen, indem wir ihnen genau zeigen, was sie erwartet. Die Wahrscheinlichkeit des Kaufs steigt.
Der Carpenter-Effekt und Personas
Eng mit dem vorherigen Beispiel verwandt und natürlich auch einfach mein Steckenpferd: Personas. Wenn wir unserer Zielgruppe auf der Website oder in Ads und Produktvideos Personen zeigen, mit denen sie sich identifizieren, also Personas, denen sie entsprechen, dann steigt somit die emotionale Bindung und das Vertrauen in die Handlung wird nochmal verstärkt. „Eine Person, die so ist wie ich, macht das so“. Social Proof spielt hier ebenfalls eine wichtige Rolle.
Der Carpenter-Effekt im Influencer Marketing
Ähnlich wie mit Personas verhält es sich auch mit Influencer:innen. Der Vorbildcharakter und das Gesetz der Autorität erhöhen die Bindung und den Trust in die Person. Ein:e Influencer:in, die mir in einem Unboxing ein Produkt zeigt, spiegelt mir damit exakt mein mögliches Erlebnis wieder.
Fazit
Im Endeffekt kann man den Carpenter-Effekt auf viele bereits bekannte Effekte und Verhaltensweisen im Marketing und der Werbepsychologie legen bzw. ihn damit verknüpfen. Oftmals müssen wir im Marketing gar nicht groß darüber nachdenken, dass es so ist. Ein wichtiges Learning hieraus aber ist, dass je näher wir an unserer Zielgruppe sind und ihr spiegeln können, welche Handlung, welche Emotionen oder welches Erlebnis sie mit unserem Produkt erwartet, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese seitens des/der Kund:in erfolgt.