Das Privatsphäre-Paradoxon: Was das iOS 14 Update über unser Userverhalten aussagt

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Als Apple Ende 2020 das geplante iOS 14 Update ankündigte, mit dem die User per Knopfdruck künftig Werbetracking zustimmen oder ablehnen konnten, war der Aufschrei groß: weltweit warfen Unternehmen Apple vor, seine Marktmacht mit den geplanten Datenschutzänderungen zu missbrauchen und gegen Kartellrecht zu verstoßen. Der Hauptpunkt der Beschwerde ist, dass Apple nämlich seine eigenen Apps von der Zustimmungspflicht ausnimmt.

Die Werbebranche erwartete einen massiven Einbruch im Paid Bereich. Und tatsächlich war dieser Aufschrei berechtigt: Laut Statistiken haben in den USA beispielsweise gerade mal 4% der User* dem Tracking zugestimmt, global sind es 12%. Der größten Werbeplattform weltweit, Facebook, erlauben gerade mal 25% der User das Tracking – mit verheerenden Auswirkungen für die Werbebranche.

Aus (werbe-)psychologischer Sicht höchst interessant, wo wir doch heutzutage ganz bereitwillig alles an Daten und Informationen über uns Preis geben. Warum also klicken so viele User für vermeintlich mehr Privatsphäre?

Das iOS 14 Update: Facts

Doch bevor wir uns der Psychologie widmen, möchte ich zunächst ein paar Fakten über das iOS14 Update an die Hand geben.

  • Streng genommen ist es das Update iOS 14.5
  • Eingeführt wurde hier die sog. App-Tracking-Transparenz (ATT)
  • App-Entwickler müssen nun erst die Erlaubnis eines Users einholen, um Zugriff auf die Werbekennung (IDFA) des Geräts zu erhalten
  • User können von App zu App einzeln festlegen, wer über die App-hinaus tracken darf
  • Es handelt sich dabei um personalisiertes Tracking, kein allgemeines Werbeverbot
  • In den Datenschutzeinstellungen kann man den Opt-in jederzeit ändern

Apple verargumentiert das Update als „großen Schritt Richtung Datenschutz“. Wie sehr es Apple dabei allerdings wirklich um die Privatsphäre der Menschen geht, sei mal dahingestellt – insbesondere, da ihre eigenen Apps davon ausgeschlossen bleiben.

Am ersten Tag des Release haben sich 8 große deutsche Medien- und Werbeverbände zusammengeschlossen und Beschwerde beim Bundeskartellamt eingereicht.

Zwischen Privatsphäre und gläserner Mensch

Es stellt sich nun die Frage, wieso so viele Menschen von Apples neuer Datenschutz-Funktion Gebrauch machen.

Im letzten Jahrzehnt haben die meisten von uns bereitwillig ihre Daten im Internet und über die sozialen Medien Preis gegeben. Für viele Stand der Nutzen daraus (Information, bessere Angebote, soziale Vernetzung) über ihrer eigenen Privatsphäre, so dass sie den Preis dafür „gerne“ gezahlt haben.

Das sog. Privatheits-Prozess-Modell gibt ein wenig Aufschluss darüber:

Das PPM (Privacy Process Model) ist eine Theorie, die besagt, dass Privatheit aus drei Hauptelementen besteht:

  • Privatheitskontext
  • Privatheitswahrnehmung
  • Privatheitsverhalten

Menschen versuchen immer die Balance zwischen den Elementen zu halten und betreiben dazu einen ständigen Prozess der Privatheitsregulation, welcher bewusst oder unbewusst ablaufen kann. Dies bedeutet, dass sie den IST und SOLL Zustand ihrer Privatheit miteinander vergleichen und entweder den Privatheitskontext oder das Privatheitsverhalten anpassen, sollten sie nicht übereinstimmen.

ppm modellQuelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Tobias Dienlin

Nach diesem Modell würde das also bedeuten, dass die User ihren aktuellen Privatheitszustand erneut angepasst haben. Doch woher kommt dies so plötzlich?

Datenschutz in aller Munde

Was hier sicherlich wesentlich dazu beigetragen hat, sind die steigenden Debatten über Datenschutz in den vergangenen Jahren. Das Thema war so präsent wie nie. Datenschutzskandale und unzureichende Informationen bzw. schlecht informierte User über Datenschutzneuerungen (siehe hier Beispiel WhatsApp) haben das Thema Privatsphäre für alle deutlich präsenter gemacht.

Ebenfalls gestiegen, ist das Bewusstsein über Werbetracking. Es ist für kaum jemanden noch verwunderlich, dass sie auf einmal Ads passend zum Suchverhalten bekommen – nicht verwunderlich, aber häufig noch „gruselig“.

Hinzu kommt meiner Meinung nach auch ein falsches Verständnis des iOS14 Updates. Häufig denken User, dass sie mit ihrem Opt-In dafür sorgen, dass sie überhaupt keine Werbung mehr bekommen. Dies ist schlicht falsch. Man untersagt lediglich personalisierte Werbung über den App-Anbieter. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass man künftig halt einfach wieder irgendeine Werbung bekommt. Und mal ehrlich, wer will das schon?

An Punkt der ebenfalls mit hineinspielen könnte, ist die Aufmachung des Popups:

popup ios14Zunächst einmal sind Popups grundsätzlich unbeliebt. In einer Studie der „Coalition for Better Ads“ gaben fast alle der 25.000 Befragten an, dass sie von Popups genervt seien. So führten diese auch in 97% der Fälle zum Abbruch des Websitebesuchs.

Aus Datenschutzsicht vollkommen korrekt, sind beide Optionen von der Aufmachung genau gleich. Keine Option dürfte farblich hervorgehoben werden, um so ggf. das Klickverhalten zu beeinflussen. Jedoch greift hier schlicht eine Form des Primacy Effekts – die erste dargebotene Option wird tendentiell eher geklickt. Und das ist in diesem Fall die Ablehnung. Zudem müssten User einen weiteren Klick machen, um zu erfahren, wozu das Unternehmen das Tracking überhaupt braucht und das dies ggf. auch positiv für sie sein könnte. Der Wortlaut, wenn auch korrekt, ist für den User erstmal eher negativ behaftet („track your activity“) und erklärt nicht, was sich dahinter verbirgt. Zugegebenermaßen ist dafür im Popup auch zu wenig Platz und es ist auch fragwürdig, ob User gewillt wären, sich das komplett durchzulesen.

Tipps für Werber

Alles in allem stellt das Update eine ganze Branche vor große Fragezeichen und zwingt sie, neue und andere Wege zu finden. Zumal Apple hier nicht der einzige „Bösewicht“ ist. Die Herausforderungen bestehen schon seit der neuen DSGVO-Verordnung von Mai 2018, welche eine cookieless future und damit das erschwerte Tracking bereits in die Wege leitete. Auch Google will sich dem anschließen, arbeitet wohl aber an einer gleichwertigen Alternative ohne Tracking.

Wie kann man also als Werber trotzdem mit den Veränderungen umgehen?

  • Zunehmende Bedeutung von First-Party-Daten: Beziehungsaufbau durch AB-Testing stärken und Präfenzen und Bedürfnisse der User besser verstehen
  • Cookieless und datenschutzkonformes Tracking mit Matomo (zum Beispiel)

 

Ich weiß, die Tipps sind recht oberflächlich, aber vielleicht zumindest Impulsgeber. An dieser Stelle möchte ich einmal Werbung in eigener Sache machen, was ihr ja, wie ihr wisst, selten tue: die Agentur, in der ich arbeite, EPHNY, hat sich dieser Herausforderung angenommen und erarbeitet gemeinsam mit Kunden Lösungen. Wer sich hier also beraten lassen möchte, der wende sich gerne an uns 😉 www.ephny.com

Außerdem sei anzumerken, dass der Marktanteil von iOS Nutzer:innen in Deutschland im Vergleich zu anderen Betriebssystemen laut Statista bei gerade mal 25% liegt. Klar, zählt die Zielgruppe iPhone User zu einer der Kaufkräftigsten, aber dennoch liegt ein breites Advertising Potential auch bei Usern anderer Betriebssysteme.

 

Anmerkungen

*ich benutze hier das englische, geschlechtsneutrale Neutrum. Mit User schließe ich selbstverständlich jegliche Art von Geschlecht ein.

PS: Wenn ihr wissen möchtet, worüber ich mich eigentlich informiere: aus meiner Sicht ist die Digitalzeitschrift t3n die zuverlässigste Quelle, wenn es um Updates aus der Online Marketing und Digitalbranche gehe. Für psychologische Fakten, beziehe ich mich oft auf aktuelle Studien und Dissertationen sowie natürlich meine eigenen Kenntnisse als Werbepsychologin.

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