Seit jeher dürfen sich Marketer anhören, dass Werbung und Marketing Manipulation seien. Wie ihr wisst, wehre ich mich als Werbepsychologin vehement gegen diesen Vorwurf. Mein Anspruch ist stets: Werbemaßnahmen so zu gestalten, dass die für den Rezipienten relevant und interessant sind.
Dennoch werde ich immer wieder auf dieses Thema angesprochen. Gefühlt wollen meine Gegenüber auf Teufel komm raus von mir die Bestätigung hören, dass meinesgleichen die Welt zu hirnlosen Konsumzombies macht.
Anlass für mich, mal ganz faktenbasiert mit diesem Thema aufzuräumen und zu erklären, warum – Spoiler – Marketing und Werbung uns nur so weit beeinflussen, wie wir es zu lassen und KEINE Manipulation sind.
Woher kommt der Vorwurf der Manipulation?
„Iss Popcorn“ „ Trink Cola“. So lauteten die vermeintlichen subliminalen Botschaften, die James Vicary in seinem Experiment in den 1950er Jahren Kinobesuchern während einer Vorstellung unterjubelte. Die Botschaften seien jeweils alle fünf Sekunden für Sekundenbruchteile während des Films eingeblendet worden. Weil sie so kurz waren, wurden sie vom Publikum nicht bewusst wahrgenommen. Die Werbebotschaft sei aber direkt ins Unterbewusstsein gelangt und habe dazu geführt, dass der Absatz von Cola um 18% und der von Popcorn sogar um 58% gestiegen sei.
Vicary hatte somit eine Methode zur unbewussten Manipulation entdeckt – vermeintlich. Denn wie sich schnell herausstellte, waren die Ergebnisse gefälscht. Das Experiment wurde mehrfach von anderen Wissenschaftlern wiederholt. Niemand kam zum gleichen Ergebnis. Irgendwann gab Vicary den Betrug zu.
Leider hält sich das Gerücht mit den manipulativen Subliminalen Botschaften bis heute. Werbung wird die Macht zugeschrieben, Konsument:innen derart zu beeinflussen, dass sie „unbewusst“ kaufen.
Um euch zu zeigen, dass das so nicht stimmt, gehe ich mal wieder auf den Prozess der Wahrnehmung ein.
Wahrnehmung und Aktivierung
Fangen wir bei den Basics an: Der Prozess der Wahrnehmung und Aktivierung. Hierzu ziehe ich mal wieder mein alt bekanntes Black-Box-Modell heran:
Quelle: in Anlehnung an Meffert, H./Burmann, Ch./Kirchgeorg, M. (2012): Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, S. 103, 11. Auflage, Wiesbaden.
Wahrnehmung beschreibt also ganz simpel den Prozess, bei dem ein externer Reiz (wie beispielsweise Werbung) vom Rezipienten wahrgenommen, verarbeitet wird (kognitive und aktivierende Prozesse) und dies dann zu einer Handlung führt (z.B. Kauf). Die genauen Abläufe könnt ihr hier in meinen Beiträgen nochmal nachlesen (Kognitive Prozesse und Aktivierende Prozesse).
Für die Werbung bedeutet das also:
- Der Reiz muss den Rezipienten zeitlich und örtlich erreichen
- Er muss in der Lage sein, ihn wahrzunehmen
- Kognitive und aktivierende Prozesse müssen dazu führen, dass er eine positive Reaktion auslöst
Wir ihr vielleicht schon merkt: Da gibt es ganz schön viele Stolperfallen auf dem Weg zur sog. Response und diese Stolperfallen werden nicht nur extern, sondern vor allem auch intern beeinflusst.
Ein ganz wichtiger Faktor ist hier das Involvement, also der Grad der Bereitschaft einer Person, sich mit einer Botschaft überhaupt auseinanderzusetzen. Befindet sich die Person im High Involvement, dann ist sie empfänglicher für die Botschaft. Befindet sie sich im Low Involvement (wie das die meiste Zeit der Fall ist), ist sie weniger bis gar nicht empfänglich. Das genaue Prinzip des Involvements könnt ihr hier nochmal nachlesen.
Je nach Art des Involvements ist auch die initiale Aktivierung eine andere, ähnlich einer Kaltakquise oder eines warmen Leads. Natürlich ist es möglich, eine low involvierte Person in eine high involvierte Person zu konvertieren, aber das ist ein langer Prozess, welcher auf dem Interesse des Empfängers beruht, welches erregt und gesteigert werden kann oder auch nicht.
Das Ob, hängt stark mit der Zielgruppe zusammen. Ihr werdet es nicht schaffen, Baby-Windeln an Personen ohne Verwendungszweck für das Produkt zu verkaufen oder gar ein Steak an einen Veganer.
Stellen wir allerdings Bedarf am beworbenen Produkt fest (= Veränderung des Involvements), so werden wir empfänglicher für dessen Bewerbung und kann unsere Entscheidung diesbzgl. beeinflussen.
„Das funktioniert in der Regel, indem man diesem Produkt einen Wert gibt, der dem Konsumenten das Gefühl gibt: Das ist wertvoll. Und was erzeugt einen Wert? Das ist relativ einfach: Es sind Emotionen, die der Welt Sinn, Wert und Bedeutung geben“
Hans-Georg Häusel, Psychologe
Mal angenommen, ihr wollt euch ein neues Auto zulegen, dann fällt euch die passende Werbung hierzu verstärkt auf. Sicherlich fällt euch auch auf einmal auf, wie viele andere Personen genau diesen Wagen fahren. Das nennt man selektive Wahrnehmung. Je relevanter die Kaufentscheidung für uns wird, umso eher erinnern wir uns auch an entsprechende Werbung – vor allem, wenn diese mit Rabatten und Aktionen wirbt (das kann unsere Entscheidung erleichtern).
Ein weiteres Beispiel, dass das sehr schön veranschaulicht: Urlaub. Es gibt Phasen, da seid ihr wortwörtlich urlaubsreif. Anzeigen und Plakate von Reiseanbietern fallen euch dadurch vermehrt auf und sprechen euch mehr an, als wenn ihr euch nicht in einer solchen Phase befindet. Euer aktueller Gemütszustand macht euch also empfänglicher für die Botschaft.
Ihr seht schon, da gehört einiges mehr dazu, als plump einen Werbespot gezeigt zu bekommen und dann kaufen wir.
Anmerkung: Die Prozesse der Wahrnehmung und die verschiedenen Einflussfaktoren sind hier bewusst einfach gehalten und auf das Wesentliche reduziert.
Starke Marken, Emotionen und das Fan-Prinzip
Nun darf man in diesem Zusammenhang aber eines nicht außer Acht lassen, was eventuell sogar ein bisschen auf der Haben-Seite der Manipulationsbefürworter steht: Es gibt starke und bekannte Marken, sog. Love Brands, die es schaffen, dass Konsument:innen ihre Produkte kaufen, ohne groß darüber nachzudenken.
Zur Entstehung solcher Love Brands möchte ich euch auch wieder auf einen anderen Artikel von mir verweisen. Hier spielen Elternhaus und soziales Umfeld eine große Rolle sowie der Effekt der emotionalen Konditionierung.
Im Rahmen des berühmten Coke-Pepsi Tests konnte der Einfluss starker Marken auf Konsumpräferenzen und Wahrnehmung nachgewiesen werden. Des Weiteren zeigt der Halo Effekt, dass die positiven Eigenschaften, die man einer Marke zuschreibt, von Konsument:innen auf Submarken und Produkte der Marke übertragen werden können, was wiederum positiven Einfluss auf die Wahrnehmung und Kaufbereitschaft hat.
Eng einher mit der Liebe zu Marken geht das sog. Fan-Prinzip. Hier lassen sich allerdings eindeutige Gefahren erkennen: wenn hier beispielsweise vom sog. „fanatischen Fan“ oder der nächst höheren Stufen vom „besessenen Fan“ sprechen, also solchen, wo die Grenzen zur Realität verschwimmen. Das kann noch recht harmlos sein: Ich kaufe ein Apple Produkt aus Prinzip.
Oder sogar gefährlich: Ich stalke eine berühmte Person (auch Personen können Marken sein)
Insgesamt sind Marken ein stark emotionsgetriebenes Thema und überall, wo Emotionen eine Rolle spielen, besteht auch Platz für Wahrnehmungsverzerrung. Hier kann es dann auch zu dem Punkt kommen, wo die Liebe zur Marke tatsächlich das Kauverhalten in gewisser Weise manipuliert – wobei das Wort „beeinflusst“ treffender ist.
Das Paradebeispiel schlecht hin, ist hier ja immer Apple. Apple gilt allgemein hin als Love Brand und wird von vielen als Vorreiter in puncto Technologie und Design betrachtet. Was hier also mit hineinspielt, sind zum einen sog. First Mover Effekte und zum anderen, dass Apple gewisse Markenassoziationen über Jahre hinweg kreiert hat, die stark an positive Emotionen geknüpft sind. Ihre Kombination aus Design, einfacher Bedienbarkeit, Lifestyle und dem geschlossenen Ökosystem bedient eine Vielzahl an Konsumermotiven, so dass ihre Konsument:innen in der Regel Fans und zwar häufig „fanatische Fans“ (nicht im negativen Sinne) sind.
Kleine Marketing-Kniffe: „Die psychologischen Tricks“
Nun kann man die Begeisterung für Marken und das Argument, warum Konsument:innen im Fall von Love Brands so reagieren, ja vielleicht noch nachvollziehen. Doch wie sieht es mit den kleinen psychologischen Tricks aus, die wir Marketer nach bester Dumbledore-Marnier hervorzaubern, um euch alle zu Konsumzombis zu machen?
Ja, es gibt sie. Sind sie böse? Nein.
Natürlich kann man sich Effekte der Preispsychologie (Rabatte, Streichpreise), Farben, Gerüche und Co. (Stichwort Multisensorisches Marketing) zu Nutze machen. Diese sind letztendlich alle Trigger der Aktivierung. Und wie ihr ja jetzt wisst: Damit diese wirken, müssen sowohl die Umweltbedingungen als auch die kognitiven und aktivierenden Bedingungen beim Rezipienten stimmen.
Exkurs: Warum Remarketing keine Magie ist
Nun möchte ich noch auf ein Thema eingehen, dass wir in Zeiten von Social Media nicht außer Acht lassen dürfen: Remarketing.
Ihr warte gerade auf der Seite eines Online Shops und Schwupps, ihr bekommt auf Instagram eine Werbeanzeige desselbigen? Ja Guten Morgen. Da habt ihr auch schon die Antwort, warum ihr entsprechende Werbung ausgespielt bekommt. Remarketing hängt ganz einfach mit eurem eigenen digitalen Fußabdruck und eurem Online Verhalten zusammen. Wo akzeptiert ihr Cookies? Welche Rechte gebt ihr Apps? Was erlaubt ihr Alexa, Siri und Co.? Das Ethik-Fass möchte ich hier gar nicht aufmachen. Fakt ist aber: Ihr seid selbst für die (Online) Werbung, die ihr seht, verantwortlich.
Außerdem ist hier zu erwähnen, dass dieser Bereich des Marketings durch den Gesetzgeber sowieso bereits soweit eingeschränkt wurde, dass es für Unternehmen immer schwerer wird, euer Verhalten zu tracken, Stichwort 3rd Party Cookies und auch auf das iOS 14.5 Update möchte ich hier nochmal verweisen. Dieses Update ermöglicht es euch, personalisiertes Tracking (nicht allgemein Werbung – hierzu gerne auch nochmal der passende Beitrag von mir) zu unterbinden.
Mit eurer Zustimmung und eurem Internetverhalten habt ihr also einiges selbst in der Hand.
Grenzen: Wann Werbung gefährlich sein kann
Das Thema Ethik hatte ich ja gerade bereits angesprochen. Ich bleibe dabei, dass ich das Fass rund um Google, Facebook, Amazon und Co. nicht aufmachen möchte.
Dennoch gibt es aber klare Grenzen, wann Werbung tatsächlich Manipulation und sogar gefährlich ist. Was ich hier aber vorweg schicken möchte: Das, was hier häufig als Manipulation bezeichnet wird, ist in der Regel (illegale) Irreführung für welche es ganz klare, gesetzliche Vorgaben gibt. Sobald einer Person beispielsweise nicht bewusst ist, dass sie etwas kauft, durch irreführende Bestellprozesse, Abofallen und C. ist das Irreführung und keine Marketing-Magie. Der Gesetzgeber hat insbesondere im Online Bereich ganz klare Vorgaben, wie Bestellprozesse, Darstellungen und Wordings gestaltet sein müssen.
Ein besonderes Thema auf das ich eingehen möchte, ist Werbung für Kinder. Hier sind die Grenzen zugegebenermaßen sehr difficil. Kinder werden durch Werbung ganz klar getriggert und durch häufig stereotype Reize dazu gebracht, ein Produkt zu wollen. Das kindliche Gehirn ist hier schlicht noch nicht so auf selektive Wahrnehmung ausgebildet, wie das von Jugendlichen und Erwachsenen. Hier gibt es ja glücklicherweise immer noch die Erziehungsberechtigen als „Filter“. Außerdem hängt es auch davon ab, wie und wie oft Kindern solchen Botschaften ausgesetzt werden. Auch hier gibt es zumindest in der Werbung klare gesetzliche Vorgaben (z.B. im TV) und ansonsten hängt es tatsächlich viel davon ab, was Eltern in welchem Maß erlauben (Handy, Internet, TV).
Abschließend möchte ich hier aber sagen: Überall dort, wo Werbung anderen Schaden zufügen kann, sind Grenzen aus meiner Sicht überschritten. Wir haben glücklicherweise in vielen Bereichen klare gesetzliche Regelungen. Dennoch ist es schwer zu verhindern, dass nicht doch mal das ein oder andere schwarze Schaf eine Lücke findet.
Daher möchte ich nochmal betonen und auch einen kleinen Appell an meine Branche herausgeben: Gestaltet Werbung so, dass sie relevant und interessant ist und nicht manipulativ und ausnutzend.
Und mein Appell an alle Konsument:innen: Manipulation ist ein gefährliches und negatives Wort. Ja, Werbung beeinflusst. Aber ihr selbst bestimmt das Maß der Beeinflussung.
Zusammenfassend noch einmal
- Werbeeinfluss hängt vor allem von persönlichen Involvement und der Aktivierung ab
- Involvement lässt sich nicht erzeugen, wohl aber bedienen bzw. bestärken
es geht nicht darum OB man das Produkt möchte, sondern WO und wie schnell das Produkt konsumiert/ gekauft wird – und hier kann man den ein oder anderen Kniff anwenden um als Marke geliebt zu werden, oder genau in dem Moment das subjektiv beste Angebot zu liefern.